Was macht die Menschenwürde unantastbar?

Bild: berlinertageszeitung.de
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Die Theologie Joseph Ratzingers als bleibende Quelle der Inspiration

Kurt Kardinal Koch: «Das Symposium will sich der Aufgabe stellen, die schwerwiegenden anthropologischen Problemstellungen der heutigen Zeit mit Hilfe der theologischen Perspektiven von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. zu bedenken und Lösungswege aufzuzeigen.»

Symposium des Schülerkreises und des Neuen Schülerkreises Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI.

1. Begrüßung und Einleitung von Kurt Kardinal Koch, Rom

„Was macht die Menschenwürde unantastbar?

Transkript

Darf ich auch in diesem Jahr zu unserem Symposium Sie herzlich begrüßen, liebe Teilnehmer hier im Saal und bei Radio Horeb und Fernsehen EWTN, denen ich bereits an dieser Stelle für die wiederum kompetente Übertragung einen besonderen Dank sage. Unter dem Titel «Was macht die Menschenwürde unantastbar?» stellen wir uns ebenso wichtigen wie herausfordernden Fragen. Stichworte wie bioethische Probleme, Transhumanismus und künstliche Intelligenz, Gender und Geschlecht dokumentieren, dass viele Herausforderungen in der heutigen Gesellschaft ihren Grund in einer tiefgreifenden Krise des Menschenbildes haben, die verschiedene Facetten aufweist. Bereits in seiner Silvesterpredigt im Jahre 1980 hat Kardinal Josef Ratzinger beispielsweise seine Überzeugung ausgedrückt, ich zitiere, »Der Kampf um den Menschen wird heute weitgehend als Kampf für oder gegen die Familie ausgetragen.« Und er hat, wie sooft, mit seiner prophetischen Diagnose im Laufe der Zeit mehr als Recht bekommen. Da die anthropologische Krise der heutigen Zeit aber sehr gravierend ist, gilt es tiefgreifend anzusetzen. Den innersten Infekt dieser Krise kann man ausgesprochen finden in Felix Timmermans Roman »Pallieter«. Darin steht ein junger Mann im Mittelpunkt, der sich unter einem Baum aufhält und sich an den Sonnenstrahlen freut, die in den Blättern spielen. Da kommt jemand vorbei und fragt ihn, »Was machst du?« Auf diese banale Frage antwortet Pallieter knapp und präzise zugleich: »Ich bin.« In dieser Szene scheint mir die Grundstimmung in der heutigen gesellschaftlichen Lebenswelt gut wiedergegeben zu sein. Weil die Menschen offenbar immer etwas machen müssen und auch machen wollen, heisst die im Vordergrund stehende chronische Frage »Was machst du?« Wir Menschen heute verstehen uns sehr gut auf das Machen. Nur das, was wir selbst machen können, verstehen wir aus dem Grunde. Mit diesem philosophischen Grundsatz hat bereits Immanuel Kant das Selbstverständnis des neuzeitlichen Menschen auf den Begriff gebracht. In der neuzeitlichen Anthropologie ist die Frage nach dem Wesen des Menschen vor allem ersetzt worden durch deren Beantwortung mit dem Handeln des Menschen. In allen Variationen des modernen Selbstverständnisses, in der idealistischen genauso wie in der materialistischen, in der existenzialistischen genauso wie in der positivistischen, versteht sich der neuzeitliche Mensch als das prinzipiell weltoffene Wesen, das durch sein Handeln die Welt entdeckt und seine Identität findet. Eng damit zusammenhängt, dass in dieser anthropologischen Sicht die religiöse Dimension des Menschseins des Menschen wenn überhaupt bloß als ein Epiphänomen betrachtet zu werden pflegt, das unter Umständen auch vernachlässigt werden kann. Das christlich-theologische Menschenbild geht demgegenüber von der Grundüberzeugung aus, dass die religiöse Dimension konstitutiv zum Menschsein des Menschen gehört, sodass man den Menschen ohne seine religiösen Bezüge, ohne Transzendenzbezug gar nicht adäquat verstehen kann. Christliche Theologie ist deshalb um den Aufweis bemüht, dass die Weltoffenheit des Menschen, die im Mittelpunkt der neuzeitlichen Anthropologie steht, nur dann konsequent und radikal verstanden wird, wenn der Mensch als das auch über die Welt als ganze hinaus offene und folglich gottoffene Lebewesen zu verstehen ist und dessen Weltoffenheit als Gottoffenheit ausgelegt wird. In der Überzeugung, dass die essentielle Definition des Menschsein darin besteht, Gott zu kennen, erblickt Josef Ratzinger Benedikt XVI. die biblische Fundamentalkategorie der Gottebenbildlichkeit des Menschen im Anschluss an den heiligen Augustinus in der Gottfähigkeit des Menschen. Ich zitiere, Gottebenbildsein bedeutet die wesensmäßige Offenheit für Gott, die damit als das eigentliche Konstitutiven des Menschenwesens erklärt wird, sodass man gerade sagen könnte, die Gottebenbildlichkeit des Menschen besteht in seiner Gottfähigkeit, die ihm als leiblich-geistliche Persönlichkeit eignet. Hier scheint der tiefste Grund auf, dass der Christ auf die moderne Frage, was machst du? Wie Pallieter zunächst und prinzipiell antwortet, ich bin. Denn in christlicher Sicht ist der Mensch in erster Linie nicht das handelnde Wesen, sondern durch seine kreatürliche Empfänglichkeit für Gott charakterisiert. Es gilt der Primat des Logos vor dem Ethos. Da man den Menschen nur kennen kann, wenn man Gott kennt und da man ohne transzendentes Fundament einer tiefen Beziehung zum Schöpfergott leicht in der Gefahr steht, zur Beute schädlicher Ideologien zu werden, ist das Menschenbild in grundlegender Weise abhängig vom Gottesbild. Im christlichen Glauben ist der Mensch freilich nicht nur Ebenbild Gottes des Schöpfers, sondern durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes ist uns noch ein klareres und reineres Ebenbild geschenkt. Wie es im Kolosserbrief heißt. Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. In Jesus Christus ist uns der Mensch nach Gottes Art und nicht nach des Menschen sattsam bekannten Unart geschenkt. Jesus Christus ist der neue Adam, der in seiner Menschwerdung und vor allem in seiner Demut am Kreuz das Gegenbild zum Vermessen nach Gottgleichheit strebenden ersten Adam darstellt. Jesus Christus ist das wahre Ebenbild Gottes und wir Christen sind berufen, Ebenbilder Jesu Christi zu werden. Diese entscheidende Wegweisung hat uns bereits das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute gegeben und sie liegt im theologischen Denken Josef Ratzingers über den Menschen zugrunde. Ich zitiere. Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf. Denn Adam, der erste Mensch, war das Vorausbild des Zukünftigen, nämlich Christi, des Herrn. Christus, der neue Adam, macht eben in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe den Menschen, den Menschen selbst, und erschließt ihm seine höchste Berufung. Wer deshalb den Menschen und sich selbst verstehen will, muss auf Jesus Christus schauen und der Einladung des Johannes-Evangeliums folgen: Ecce homo. Mit diesen Hinweisen dürfte deutlich sein, dass auch die heutigen großen anthropologischen Herausforderungen nur wahrgenommen werden können, wenn sie im Licht des christlichen Glaubens betrachtet werden. Dazu bietet die Theologie Josef Ratzingers Benedikt XVI. eine bleibende Quelle der Inspiration, wie der Untertitel unseres Symposiums heißt. Das Symposium will sich der Aufgabe stellen, die schwerwiegenden anthropologischen Problemstellungen der heutigen Zeit mit Hilfe der theologischen Perspektiven von Josef Ratzinger Benedikt XVI. zu bedenken und Lösungswege aufzuzeigen.
Ich wünsche Ihnen, verehrte Teilnehmende, viele erhellende Erkenntnisse und weiterführende Anregungen für Ihr persönliches Leben und Wirken. Denn wenn es um den Menschen in christlicher Sicht geht, wird jeder bekennen können: Mia res agitur. [Es geht um meine Sache.] Ich danke allen Referenten an diesem Symposium für ihre wertvollen Beiträge und überlasse nun den ersten beiden Referenten das Wort. Herzlichen Dank.

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1. Vortrag von Prof. Dr. Stefanos Athanasiou (München)

„Menschenwürde im theologischen Denken
von Joseph Ratzinger“

Transkript

Den ersten Vortrag wird halten Herr Prof. Dr. Stephanus Athanasiou, zu meiner Rechten. Er ist orthodoxer Theologe, Priester und seit dem 1. August 2023 Professor für systematische Theologie auf der ordentlichen Professur. Und diese systematische Theologie an der Ausbildungseinrichtung für orthodoxe Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München umfasst die Bereiche Dogmatik, Ethik und ökumenische Theologie. Prof. Athanasiou ist seit vielen Jahren Mitglied im neuen Schülerkreis und vertritt in diesem neuen Schülerkreis somit die orthodoxe Perspektive. Er wird den Eröffnungsvortrag nun halten zum Thema Menschenwürde im theologischen Denken von Joseph Ratzinger, Papst Benedikt XVI. und damit die anthropologischen Grundlagen zu unserem Thema legen.

Herzlichen Dank für diese nette Vorstellung.
Eminenz, Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitbrüder und Schwestern in Christus. Wir leben in einer Zeit, in der das Verständnis vom Menschen heiß umkämpft ist. Die moderne säkulare Anthropologie neigt oft dazu, den Menschen ausschließlich als ein biologisch-psychologisches Wesen zu definieren, als ein zufälliges Produkt der Evolution, als Homo Faber, der sich selbst und die Welt formt, oder als Homo Economicus, der seinen Zweck im Konsum und in der Produktion findet. Die Beziehung zu Gott erscheint in solchen Konzepten höchstens als austauschbares Epiphänomen, etwas kulturell Gewachsenes, das man entbehren oder sogar überwinden sollte. Es gibt heute Strömungen, die denken, dass die Gender-Theorie oder der Transhumanismus eigentlich den Menschen zu seinem Ziel findet. Diese radikalen Strömungen der Gender-Theorie und des Transhumanismus, die den Menschen nahezu neu erfinden wollen, möchten ihn eigentlich entfernen. Sie betrachten Geschlecht, Leiblichkeit und Endlichkeit als formbare Größen ohne vorgegebene Sinnbestimmung. In dieser Sicht scheint der Mensch sich selbst erschaffen zu wollen, ganz ohne Bezug auf ein ihn übersteigendes Gegenüber.
Dem gegenüber steht das christliche Menschenbild, wie es Joseph Ratzinger, Papst Benedikt XVI. u.a. eindrucksvoll entfaltet hat. Es ist ein Bild vom Menschen, das von Gott her gedacht ist. Hier ist Gott keineswegs ein verzichtbares Beiwerk, sondern konstitutiv für das Menschsein an sich. Ratzinger hat schon in seinem Werk «Glaube, Wahrheit, Toleranz» betont, dass wir den Menschen gar nicht angemessen verstehen können, wenn wir seine Transzendenzbeziehung ausklammern.
Kurt Kardinal Koch hat diesen Gedanken Ratzinger jüngst in einer Predigt im Campo Santo auf den Punkt gebracht. Steht der Mensch nur als weltimmanentes Wesen da, ohne Bezug auf das Göttliche, so wird er in der Tiefe verkannt. Die christliche Überzeugung lautet in dem Sinn, dass der Mensch von Natur aus ein Gottsuchender ist und damit das Heilige an sich sucht. Oder genauer, dass er ein Gegenüber Gottes ist und nur in Beziehung zu Gott sich selbst findet.

Wolfhart Pannenberg zeigte schon vor Jahrzehnten, dass die vielbeschworene Weltoffenheit des Menschen eigentlich eine Gottoffenheit ist. Mit anderen Worten, der Mensch besitzt eine unendliche Horizontweite, die ins Transzendente reicht, ja, ins Unendliche selbst. Ein Punkt, den keine rein empirische Anthropologie letztlich erklären kann, ohne Gott mit in den Blick zu nehmen. Hier knüpft Ratzinger an. Aus seiner Sicht ist der Mensch nicht zuletzt Capax Dei, fähig für Gott, offen für das Ewige. Als Theologe hat er von Anfang an den Menschen im Licht der Offenbarung betrachtet. Was sagt uns Christus eigentlich über den Menschen? Denn so das berühmte Wort der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes klärt sich das Geheimnis des Menschen. Benedikt XVI. zitiert gerne diese Konzilslehre. Jesus Christus, der neue Adam, ist das wahre Bild Gottes und gleichzeitig das wahre Bild des Menschen. Nur indem wir Söhne und Töchter in ihm werden, gelangen wir zu unserer vollen Ebenbildlichkeit, also eigentlich Menschlichkeit. Mit diesem christozentrischen Ansatz legt Ratzinger den Grund für eine ganzheitliche, Theologie des Menschseins. Und im Zentrum dieser Theologie steht meines Erachtens ein Begriff, den man als Homo Liturgicus umschreiben kann. Der Mensch als liturgisches Wesen. Was heißt das? Ratzinger erkannte, dass der Mensch in seinem Innersten auf Anbetung ausgerichtet ist, auf die Hinordnung zur Schöpfung und zum Du Gottes, also zur Heiligkeit. Der Mensch ist nicht der Beherrscher der Welt, Homo Dominator oder der Spielball seiner Triebe. Er ist gerufen, Gott zu erkennen und ihn zu verherrlichen. Die Herrlichkeit Gottes ist der lebendige Mensch und das Leben des Menschen besteht in der Gottesschau, rief Benedikt XVI. in seiner Weihnachtsansprache 2006 mit den Worten des heiligen Irenaeus in Erinnerung. Dieses berühmte Wort «Gloria Dei Vivens Homo» fasst Ratzingers Anthropologie nahezu zusammen. Der Mensch lebt wahrhaft und erfüllt, wenn er Gott schaut, das heißt, wenn er in Beziehung tritt zum lebendigen Gott. Darin findet er seinen Frieden und seine Bestimmung. Es ist die Bestimmung zur Heiligkeit, die Bestimmung zum Abbild der Heiligkeit, seines Schöpfers zu werden. Die Beziehung zu Gott ist also nicht ein später Zusatz im Evolutionsprozess, sondern gehört zum Menschsein wesentlich dazu. Der Mensch als Liturg, Homo Liturgicus, ist der Mensch, der seine eigentliche Würde darin entdeckt, dass er Gott antworten kann. Er allein von allen Geschöpfen vermag bewusst Amen zu sagen zum Ruf seines Schöpfers. Papst Benedikt XVI. formulierte es im Rahmen seiner apostolischen Reise nach Frankreich 2008 so: «Das Wort Gottes bringt uns selber ins Gespräch mit Gott. Der Gott, der in der Bibel spricht, lehrt uns, wie wir selber mit ihm reden können.» Das zeigt sich schon in der einfachsten Tatsache, dass wir als Wortwesen und Beziehungswesen angelegt sind. Der Mensch findet erst zur Wahrheit über sich, wenn er einem Gegenüber begegnet, dem Mitmenschen und letztlich Gott an sich. Dieses Geheimnis des Menschen. Das Geheimnis des Menschen enthüllt sich nur in der Communio. Darum nennt die christliche Tradition den Menschen auch Capax Dei, fähig Gott aufzunehmen, fähig in Beziehung zu ihm zu treten.

Joseph Ratzinger hat diesem Gedanken zugestimmt und ihn vertieft. Für ihn bedeutet das Christsein, dass wir von Gott angesprochen sind und unser Leben Antwort auf diesen Anruf wird in Glaube, Hoffnung und Liebe. Und diese Antwort vollzieht sich wesentlich im Gebet und im Gottesdienst, also liturgisch. Hier hat Benedikt XVI. oft den Schulterschluss mit der orthodoxen Theologie gesucht, die immer wieder betont, dass Theologie ohne Doxologie, ohne Lob Gottes ins Leere läuft. In der Tat, wenn der Mensch aus der Beziehung zu Gott lebt, dann ist es nur folgerichtig, dass jede wahre Anthropologie letztlich liturgisch wird. Lassen Sie uns diese Perspektive nun mehr im Hinblick Ratzingers entfalten.

Forts. folgt.

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2. Vortrag von Prof. Dr. Dr. Ralph Weimann (Rom)

Menschenbild und bioethische Herausforderungen

Transkript

… In den gesammelten Schriften Josef Ratzingers wurden seine Beiträge zu bioethischen Themen unter der programmatischen Überschrift Grundfragen des Menschseins zusammengefasst. Die Wahl dieses Titels unterstreicht bereits, es geht hier nicht um Einzelaspekte medizinischer Technik, sondern um das anthropologische und ethische Fundament. Zweifellos hat Huxley mit ‚Brave New World‚ eine literarische Utopie entworfen. Doch die entscheidende Frage lautet, worin liegt heute der Unterschied zwischen Utopie und Wirklichkeit? Auch wenn Huxleys Vision nicht vollständig Realität geworden ist, so lassen sich doch viele Tendenzen beobachten, die in genau jene Richtung weisen, hin zu einer wissenschaftlich-technischen Kontrolle des Lebens und zwar von Anfang an. Das Recht des Stärkeren beginnt sich durchzusetzen, nicht mehr in offenbrutaler Form, sondern in Gestalt scheinbar selektiver, technologisch optimierbarer Auswahlprozesse. Menschen entscheiden über andere Menschen, über ihr Lebensrecht, über ihre Existenzberechtigung und über die Kriterien, die dabei gelten. Ein Beispiel dafür ist die weit verbreitete Praxis der Präimplantationstiagnostik. Dabei werden Embryonen nach genetischen Merkmalen untersucht, bevor entschieden wird, sie einzuflanzen oder nicht. Nur solche, die als gesund oder als – man könnte böse sagen – lebenswert gelten, heute spricht man von qualitativ hochwertigen Embryonen, erhalten die Chance auf eine Geburt. Die anderen werden verworfen, ein Vorgehen, das objektiv einer eugenischen Selektion gleichkommt, auch wenn das Prozedere meist euphemistisch umschrieben wird. Ein weiteres Beispiel ist die Leihmutterschaft, die sich insbesondere vor dem Krieg in der Ukraine zu einer regelrechten Industrie entwickelt hat. Die kommerzielle Austragung fremder Kinder findet in großen Teilen der Gesellschaft breite Akzeptanz. Auch die Debatte rund um die Abtreibungsgesetzgebung etwa in Deutschland zeigen, wie sehr sich die moralische Sensibilität für den Schutz des ungeborenen Lebens verschoben hat. Joseph Ratzinger hat früh auf die zugrunde liegende Problematik hingewiesen. Eine Problematik, die in vielen medialen und politischen Stellungnahmen kaum je thematisiert wird. Wenn nicht klar ist, wer der Mensch ist und warum jedes menschliche Leben, um ein Wort von großer Tragweite zu verwenden, heilig ist, dann droht moralische Beliebigkeit. Ein solcher Verlust an anthropologischer Klarheit öffnet Tür und Tor für ideologische Utopien, die oft unter dem Deckmantel des Fortschritts daherkommen. In diesem Zusammenhang formulierte Ratzinger, ich zitiere, ‚es versteht sich dann, dass ein Staat, der sich das Recht anmaßt zu bestimmen, wem die Rechte zustehen oder nicht zustehen, der folglich einigen die Macht zuerkennt, das Grundrecht anderer auf Leben zu verletzen, dem demokratischen Ideal widerspricht, auf das er sich weiterhin beruft und dass er die Grundlage untergräbt, auf der er steht.‘, Ende des Zitats. Besonders nachdenklich stimmt auch eine weitere Frage, die Josef Ratzinger stellt. Warum lehnt man heute fast einstimmig den Kindermord ab, während man gegenüber Abtreibungen nahezu unempfindlich geworden ist? Vielleicht nur deshalb, weil man bei der Abtreibung, so schreibt er, nicht das Gesicht derer sieht, die dazu verurteilt werden, nie das Licht der Welt zu erblicken? An diesem Punkt lässt sich eine zentrale Einsicht festhalten. Zwischen Reproduktion und Schöpfung besteht ein fundamentaler Unterschied, der für die bioethische Debatte von grundlegender Bedeutung und untrennbar mit dem jeweiligen Menschenbild verbunden ist. Dieser Unterschied wird heute jedoch zunehmend übersehen, nicht nur in säkularen Diskursen, sondern auch in manchen innerkirchlichen Debatten. Während intensiv über das Klima und die Verantwortung des Menschen gegenüber der Umwelt gesprochen wird, scheint die Rede von Schöpfung vielfach zu verstummen, als ob alles dem Zufall oder ausschließlich menschlicher Verfügbarkeit unterliege. Doch die Kategorie Schöpfung weist auf eine weiterreichende Dimension hin, eine, die der Mehrdimensionalität menschlichen Lebens entspricht. Der Mensch erschöpft sich nicht in seiner Leiblichkeit. … Er ist nicht nur Körper, sondern er ist Person, Beziehung, Geist, Schöpfung. Und das bedeutet, der Mensch ist nicht gemacht, sondern erst empfangen und damit gewollt. Im Hinblick auf die Reproduktionsmedizin wird dies besonders deutlich. Hier wird der Mensch technisch hervorgebracht, in vitro reproduziert, unter Laborbedingungen planbar selektioniert. Kardinal Ratzinger hebt diese Verschiebung hervor und weist darauf hin, dass sich eine neue Sprache etabliert hat, die die tiefere Bedeutung der menschlichen Herkunft zunehmend verdeckt. Begriffe wie Zeugung und Empfängnis, die auf ein personales Geschehen verweisen, sind ersetzt worden durch den Begriff der Reproduktion. Ein Ausdruck, der aus der Technik stammt und damit einen Paradigmenwechsel markiert. Ratzinger schreibt, aus Prokreation, das auf den Schöpfer hinweist, dem sich jeder Mensch zuletzt verdankt, ist Reproduktion geworden. Doch wird Reproduktion dem Menschen gerecht? Ist der Mensch nicht wesentlich mehr als ein Produkt? Die Fragen, die sich daraus ergeben, sind existenziell.
Hatte Aldous Huxley recht, wenn er die Zukunft des Menschen im Labor verortete, geplant, produziert, nach Bedarf zusammengestellt? Die Vision von Menschen als technisches Konstrukt kann dem Menschen als Mensch nicht gerecht werden. An diesem Punkt wird Kardinal Ratzinger unmissverständlich klar. Er schreibt, die Reproduktion der Wirklichkeit, die mit einem solchen Standpunkt verbunden ist, bedeutet vor allem und zuerst die Leugnung des Menschen als Menschen. Diese Aussage trifft den Kern der
Debatte. Wer den Menschen auf seine biologische, technische und funktionale Machbarkeit reduziert, leugnet seine Tiefe, seine Einzigartigkeit und letztlich seine Würde. Schöpfung hingegen anerkennt den Menschen als Person, als Wesen, das sich selbst nie ganz besitzen oder machen kann, weil es sich letztlich einem anderen verdankt. Hinter der Debatte um Reproduktion versus Schöpfung verbirgt sich eine noch viel grundlegendere Herausforderung. Die Frage nach dem Menschenbild. Joseph Ratzinger bringt diese Herausforderung mit großer Klarheit auf den Punkt. Entweder wird, so schreibt er, nur das Mechanische, das Naturgesetzliche als wirklich Angesehen und alles Personale, die Liebe, das Schenken als schönen Schein betrachten, der psychologisch nützlich, aber letztlich irreal und unerheblich ist. Ich finde für diese Position keine andere Bezeichnung als Leugnung des Menschen. Diese Diagnose berührt den Kern aller bioethischen Debatten, denn ihnen liegt immer, ob explizit oder unausgesprochen, ein bestimmtes Menschenbild zugrunde. Es gehört zu den großen Versäumnissen unserer Zeit, dass dieses Thema zumeist ausgeklammert wird, besonders in gesellschaftlichen und politischen Diskursen, manchmal auch in kirchlichen Diskursen. Doch die Wahrheit bleibt. Mit dem Menschenbild steht und
fällt jede Ethik, denn nur wenn geklärt ist, wer der Mensch ist, kann sinnvoll beantwortet werden, was dem Menschen dient. Genau an dieser Stelle ist der Konsens in der Gesellschaft längst verloren eine Entwicklung, die angesichts der rasanten Fortschritte in Wissenschaft und Technik besonders gravierend ist. Joseph Ratzinger hat sich intensiv mit dieser Problematik beschäftigt und dabei einen personalen Ansatz entwickelt, der sein gesamtes Werk durchzieht. Ratzinger betont, dass das Personale
und das Biologische untrennbar miteinander verbunden sind. Die Entstehung des Menschen ist mehr als ein biologischer Vorgang, mehr als technische Reproduktion. Auch moderne pränatale
Forschungsergebnisse bestätigen heute das, was Ratzinger theologisch begründet. Der Mensch ist Person von Anfang an, nicht erst mit der Geburt oder mit der Entwicklung von bestimmten kognitiven Fähigkeiten. Neben der Vernunft eröffnet der Glaube eine tiefere Einsicht in das Verständnis über die Würde des Menschen. Ratzinger orientiert sich dabei an der Heiligen Schrift und den
Kirchenvätern. In Anlehnung, wie wir eben schon gehört haben an Gregor von Nyssa, verweist er auf die besondere Stellung des Menschen in der Schöpfung, was im Schöpfungsbericht deutlich
wird. Gott hat nicht gesagt, der Mensch sei. Die Schöpfung des Menschen ist höher als alles. Der Herr nahm. Er will unseren eigenen Leib mit seiner eigenen Hand formen. Der Mensch ist folglich
Abbild Gottes, nicht bloß als Exemplar einer Klasse von Lebewesen, schreibt Ratzinger. Es handelt sich um etwas gänzlich Neues, in dem mehr geschieht als Reproduktion, neuer Anfang, der über alle Kombination vorhandener Information hinausreicht, noch anderes den anderen voraussetze und uns damit Gott zu denken lehrt. Aus dieser Perspektive wird deutlich, wie irreführend gewisse Strömungen sind, die den Menschen entweder rein biologisch oder rein kulturell deuten. Weder Biologismus noch Idealismus werden der Wirklichkeit des Menschen gerecht, denn der Mensch ist eben
nicht als eine Klasse von Lebewesen geschaffen worden, sondern als personales Wesen, als Mann und Frau. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie falsch die von Papst Franziskus sogenannte
Gender Ideologie ist, denn der Mensch ist Corpore et anima unus, Geist und Leib in substanzieller Einheit. Es geht nicht um Dualismus, sondern um die Dualität, durch die sich die Mehrdimensionalität
des Menschen und seine unantastbare Würde ausdrücken. Das wird besonders deutlich in einer weiteren Schlüsselaussage von Joseph Ratzinger. Ich zitiere, das psychologische Geschehen ist mehr als physiologisches Geschehen. Jeder Mensch ist mehr als neue Kombination von Informationen. Jedes Menschen entstehen ist Schöpfung. Ihr Wunder ist es, dass sie nicht neben, sondern gerade in den Prozessen des Lebendigen und seiner invarianten Reproduktion geschieht. Ende des Zitats. Der Mensch ist also einzigartig. Wie die DNA oder DNA-Code die Einzigartigkeit des Körpers offenbart, so lässt sich von dort auf die Einzigartigkeit des Geistes, also der Seele, schließen. Jede menschliche Zeugung ist damit Ausdruck des Mitseins Gottes, ein Akt, in dem sich die Selbstübersteigung des Menschen und die schöpferische Vernunft Gottes zeigen. Diese schöpferische Vernunft kann nicht das Produkt der Materie sein, sondern liegt ihr voraus. Sie ist Garant für Freiheit, Verantwortung und Würde. Mit anderen Worten, der Schöpfung ist eine eigene Vernunft eingeschrieben, die zugleich auf den Urheber derselben verweist. Gott. Vor diesem Hintergrund währt sich Joseph Ratzinger entschieden dagegen, die Rede von Gott als
unwissenschaftlich zu diffamieren und in dem Bereich des Subjektiven, gerade auch im Hinblick auf die Bioethik zu verbannen. Er erinnert daran, dass sich das Phänomen Universität historisch
dort gebildet hat, wo täglich der Satz erklang, ich zitiere, im Anfang war der Logos, der Sinn, die Vernunft, das vernunfterfüllte Wort. Der Logos hat den Logos geboren und ihm Raum geschaffen,
Ende des Zitats. Diese theologische Grundlegung war einst die Quelle jener ganzheitlichen Bildung, die das Ganze der Wirklichkeit in den Blick nahm. Heute hingegen erleben wir eine Zerfaserung der Wissenschaften, ein nebeneinander von Einzeldisziplinen unübergreifende Orientierung. Doch gerade so kommt es zur Auflösung der Universitas. Das betrifft auch die Bioethik.

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3. Vortrag von Prof. Dr. Vincent Twomey (Dublin)

Gewissensentscheidung als Ausdruck der Gottesebenbildlichkeit

Transkript

… „Aber die Humanwissenschaften können nur die äußeren Phänomene eines Querschnitts menschlichen Verhaltens zu einer bestimmten Zeit und einem bestimmten Ort messen, nicht dessen moralischen Wert, dessen Natur von Literatur, Philosophie und Theologie erforscht wird, auch Mythologie. Die sogenannten Normen, die diese Wissenschaften aufstellen, sind lediglich Prozentsätze von Verhaltensnormen, Verhaltensmuster zu einer bestimmten Zeit und zu einem bestimmten Ort. Darüber hinaus ist es grundsätzlich dualistisch, unsere Sexualität unter dem Gesichtspunkt der Funktionen zu betrachten. Unser Körper wird als etwas angesehen, das wir haben, nicht als das, was uns als Menschen ausmacht. Es bedeutet, unseren Körper als Rohstoff zu betrachten, der ja nach Bedarf und sogar nach momentanen Stimmungen genutzt werden kann, natürlich verantwortungsbewusst. Maschinen haben Funktionen, der Mensch hat eine innewohnende Bedeutung und eine entsprechende moralische Ordnung. Dies ist weit entfernt von den erhabenen moralischen Normen, die sich aus unserer Schaffung nach dem Bild Gottes ergeben. Genesis erinnert uns daran, Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er, als Mann und Frau schuf er. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen, seid fruchtbar und vermehrt euch. Gott ist Leben. Er ist fruchtbar, Fruchbarkeit. Er vermehrt sich, er ist kreativ, schöpferisch. Als Ebenbild Gottes sind Mann und Frau als potentielle Väter und Mütter definiert. Mächtige Kräfte, mit denen wir auf eigene Gefahr herumspielen. Gott hat uns für die Vereinigung mit ihm geschaffen, symbolisiert durch die eheliche Vereinigung. Dass diese beiden einflächig werden, wie Paulus verkündet, ist, Zitat, „ein großes Geheimnis“. Und ich meine damit Christus und die Kirche, Ephes 5, 31, 32. Die Ehe und das Geheimnis, das die eheliche Vereinigung mit sich bringt, tragen ihre eigenen moralischen Anforderungen in sich, die jede andere Sexualität, sexuelle Aktivität außerhalb der Ehe ausschließen. Ehemann und Ehefrau sind aufgerufen, mit Gott zusammenzuarbeiten, indem sie die Voraussetzungen schaffen, die es ihm Gott ermöglichen, wenn er will, einen einzigartigen Menschen im Schoß der Mutter enstehen zu lassen. Ein Kind wird gezeugt, nicht gemacht. Die Fortpflanzung erfordert mit anderen Worten eine moralische Antwort, die sich in jener kreuschen, leidenschaftlichen, ehelichen Liebe zusammenfassen lässt, die immer offen ist für neues Leben.“

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4. Vortrag von Prof. Dr. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (Heiligenkreuz)

Leib und Gotteserfahrung. Gender und Geschlecht im Blick Joseph Ratzingers

Transkript

… „Leib, Leben, Liebe sind ein einziger Wortstamm. Der Leib ist genau immer der lebendige Leib. Und den kann ich nicht manipulieren. Daraufhin geht jetzt Ratzinger folgendermaßen. Der Leib, also die Wirklichkeit des Leibes, kann nicht auf einen unbedeutenden physischen Aspekt reduziert werden. Sie ist eine grundlegende Komponente. Das ist jetzt hier die Wirklichkeit. Eine grundlegende Komponente der Persönlichkeit. Sie ist eine ihrer Weisen zu sein, sich zu äußern, mit den anderen in Kontakt zu treten, die menschliche Liebe zu empfinden, auszudrücken und zu leben. Diese Fähigkeit zu lieben, jetzt nochmal, wir sind jetzt auf der Leibebene, nicht auf der Körperebene.
Diese Fähigkeit zu lieben, Abglanz und Bild Gottes, der die Liebe ist, äußert sich auch im bräutlichen Charakter des Leibes. Man kann vermuten, dass in der späteren Theologie des Leibes Papst Johannes Paul II. die Äußerung des Bräutlichen in diesem Fall tatsächlich von Papst Benedikt übernommen hat. Ein ausgezeichneter Ausdruck. Da ist wirklich auch ein Kerngedanke für Johannes Paul II. Äußert sich im bräutlichen Charakter der Liebe, in dem die Männlichkeit und die Weiblichkeit der Person
eingeschrieben ist..“

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5. Vortrag von Prof. Dr. Stephan Kampowski (Rom)

Antworten auf den Transhumanismus und die Künstliche Intelligenz

Transkript

… „In seinem Aufsatz ‚Christliche Orientierung in der pluralistischen Demokratie‘ beschreibt Ratzinger drei Tendenzen der heutigen Gesellschaft, die ihre demokratische Ordnung bedrohen. Und alle drei sind für unser Thema von Bedeutung. Die erste Gefahr sieht er in der Unfähigkeit, mit der Unvollkommenheit der menschlichen Dinge, uns anzufreunden. Eine Haltung, die von manchen sogar als Ekel am Bestehenden bezeichnet wird. Solange eine Gesellschaft vom Ethos getragen wird, also von gemeinsamen moralischen Grundüberzeugungen und den Tugenden ihrer Bürger, wird sie nie vollkommen gerecht sein. Das Ethos ist stets gefährdet und ein Staat, der auf ihm gründet, ist nie gesichert. Er ist unvollkommen wie der Mensch selbst. Wenn jedoch die Bereitschaft fehlt, diese Unvollkommenheit zu akzeptieren, entsteht der Wunsch nach einer perfekten Gesellschaft: Die Utopie. Dann erscheint das Ethos, das zwar weitgehend geteilt sein mag, jedoch als sittliche Tugend seinen Sitz im je Einzelnen hat, als unzuverlässig. Auf die Tugend des Einzelnen kann man sich nicht verlassen. Stattdessen müsse eine vollkommene Gesellschaft vom Ethos unabhängig sein und durch stabile Strukturen gewährleistet werden, sodass diese Strukturen Freiheit und Gerechtigkeit mit institutioneller Gerechtigkeit garantieren. In dieser Sichtweise verlagert sich das Ethos vom Menschen in die Strukturen, in die Institutionen. Es ist der Versuch, ich zitiere, das Moralische in seiner Unzulänglichkeit und Gefährdung überflüssig zu machen durch die sozusagen mechanische Sicherung der richtig eingerichteten Gesellschaft. Die Errichtung einer solchen strukturell abgesicherten Gesellschaft wird damit nicht mehr als moralische, sondern als technische Frage betrachtet. Damit sind wir bei der zweiten Gefahr. Der neuzeitlichen Verengung des Vernunftbegriffs auf das Quantitative. Heute gilt nur die Vernunft der Berechnung und des Experiments überhaupt als Vernunft. Eine so verstandene Vernunft
weiß mit dem Moralischen, mit dem Ethos nichts anzufangen, denn dieses ist nicht in derselben Weise rational zu deduzieren, wie das Funktionieren eines Apparats. Daraus folgt wiederum eine Absage an die Moral zugunsten der Technik. Die dritte Gefahr für die Zukunft unserer westlichen Demokratien sieht Ratzinger im Verlust der Transzendenz. Wird der Bezug des Menschen zu Gott, zum Guten,
zum Jenseits zerstört, führt dies zur Flucht in Utopien. Der Verlust der Transzendenz ist für ihn jene eigentliche Amputation des Menschen, aus der alle anderen Krankheiten hervorquellen. Ohne die Hoffnung auf ein Größeres, das über die Welt hinausweist, bleibt dem Menschen nur der Rückzug in die Illusion der Scheinhoffnungen. Nur die große Hoffnung, die aus der Transzendenz erwächst, befähigt ihn, die Unvollkommenheit der Welt zu ertragen, also die erste Herausforderung, sich mit der Unvollkommenheit der menschlichen Existenz anzufreunden und dann diese Bedingung der Unvollkommenheit der Welt noch so zu gestalten, dass man in der Welt menschenwürdig leben kann. Verliert der Mensch hingegen seinen Transzendenzbezug, richtet er all seine Hoffnung auf das Diesseits. Er sucht nach sicheren Strukturen, die seiner auf das messbare und machbare reduzierte Vernunft entwerfen kann. Dies führt zu dem, was man im Englischen Social Engineering nennt, ein gesellschaftliches Ingenieurswesen, das die menschliche Freiheit ersetzen soll. Das Ethos, das mit Freiheit, Spontanität, Liebe und Verantwortung verbunden ist, erscheint dann als unzuverlässig und unvernünftig, weil es nicht messbar und berechenbar ist und wird folglich durch technische Lösungen ersetzt. Ratzinger hatte bei diesen Überlegungen zunächst vor allem die marxistische Utopie im Blick. Doch es fällt nicht schwer, an ihre Stelle den Transhumanismus zu setzen. Auch hier geht es um eine Erlösung im Diesseits, … Der Weg zum erlösten Menschen in dieser Welt ist ein technischer. Er liegt in der Biotechnologie, die richtig entwickelt und angewandt die Befreiung des Menschen von seiner Unvollkommenheit herbeiführen soll. Er liegt in der Biotechnologie, die richtig entwickelt und angewandt
die Befreiung des Menschen von seiner Unvollkommenheit herbeiführen soll. Moral wird durch Technologie ersetzt. Genau hierin liegt das zentrale Problem des Transhumanismus, das er mit allen utopistischen Denkansätzen teilt.“

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6. Moderierte Diskussion von Prof. Dr. Christoph Ohly, Köln

«Was macht die Menschenwürde unantastbar?» – Zusammenfassung

Transkript

Ich will versuchen, die Gedanken, die wir heute Nachmittag gehört haben, in einem Punkt zusammenzubringen und vielleicht das auch dann als Ausgangspunkt zu nehmen für das weitere Nachdenken, was ja jetzt nicht einfach schließt, sondern über diese Veranstaltung heute hinausgeht. In einem großen inhaltlichen Spannungsbogen haben wir uns im Licht der Theologie Josef Ratzingers als bleibender Quelle der Inspiration, so heißt ja der Untertitel zu der heutigen Veranstaltung, die Frage gestellt, was die Menschenwürde unantastbar macht. Die Referentin, unsere Referenten haben uns dabei in die Fragestellungen und in das darauf bezogene Potenzial der theologischen Gedanken Josef Ratzingers mitgenommen und dies in einem großen Bogen, nämlich ausgehend von der konzentrierten, einführenden Einführung in das Thema durch Kardinal Koch und den theologischen Grundlagen zur Menschenwürde im Denken von Papst Benedikt, die uns Professor Athanasiou dargelegt hat. Über die Konkretionen zu den bioethischen Herausforderungen mit Professor Weimann, der Gewissensentscheidung mit Professor Twomey, der Thematik von Leib und Gotteserfahrung mit Professorin Gerl-Falkovitz, hin zu den Antworten aus dem Denken von Josef Ratzinger auf die aktuellen Herausforderungen des Transhumanismus sowie der künstlichen Intelligenz. Dabei ist in diesem großen Spannungsbogen, so glaube ich, aus dem Wort, das der Professor Athanasiou zitiert hat, dass gerade die ökologische Krise und dies im weitesten Sinne des Wortes auch der Ökologie des Menschen eine anthropologische Krise ist, deutlich geworden, dass Josef Ratzinger in diesem Bemühen immer um eine, so hat es Professor Weimann ausgedrückt, konsequente Rückbindung der bioethischen Fragen, aber eben auch jener Fragen, die die praktischen Vorträge, wenn man so will, betroffen haben, an das grundlegende Menschenbild auszeichnet. Die konsequente Rückbindung all dieser Fragen an das grundlegende Menschenbild. Und zwar gegen jede Reduktion des Menschen auf seine rein biologischen, technischen, funktionalen Machbarkeiten, gegen die Leugnung seiner Tiefe, seiner Einzigartigkeit, seiner Würde, die er aus einem einzigen Grundgedanken gewonnen hat, nämlich schöpfungstheologisch gesprochen, Geschöpf Gottes zu sein, aus der Hand, aus dem Herzen, aus dem Gedanken Gottes, und offensichtlich, und das ist vielleicht die größte Herausforderung, auch für den Diskurs aus christlicher Perspektive, diesen einzubringen, aus inkarnationstheologischer Perspektive, dass wir in Christus, dem inkarnierten Sohn Gottes, die Antwort auf die Frage nach der Unantastbarkeit menschlicher Würde finden. Mich selbst hat einmal in einer Predigt von Josef Ratzinger, ein Gedanke beeindruckt, der im Zusammenhang mit den Schöpfungsberichten im Alten Testament, im ersten Buch der Heiligen Schrift steht. Und er dies auf den Grundgedanken bringt. Diese Berichte über die Erschaffung des Menschen, so sagt er, sind Demütigung und Trost zugleich. Demütigung, denn sie sagen dem Menschen, du bist nicht Gott. Trost, du bist geliebtes Kind Gottes. Du bist nicht Gott, aber du bist geliebtes Kind Gottes. Darin strahlt der Glanz dieses Menschenbildes auf, dass wir in die Diskussion, in den Diskurs unserer Zeit, im Blick auf die vielen Herausforderungen, über die wir heute nachgehen, immer wieder mit einbringen müssen. Nur was tun wir? Und das ist vielleicht etwas, was uns über diesen Moment hinausführen kann, wenn es in unserem Umfeld immer mehr Menschen gibt, über die man das sagen kann, was der Pastoraltheologe, der in den Niederlanden lehrt, Jan Loffeld zum Titel eines seiner Bücher gemacht hat: «Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt» gegenüber Menschen, dieses glanzvolle Menschenbild zu verkünden, zu begründen und in seinen Konsequenzen auch sichtbar zu machen, gegenüber Menschen, die Gott nicht brauchen oder zu brauchen meinen. Und ich glaube, dass all diese Gedanken, die wir uns heute Nachmittag gemacht haben, nicht nur die Herausforderung darstellt, im Blick auf die Herausforderungen, die zu diesen Gedanken geführt haben, sondern auch zu der Frage führen, wie können wir das als Kirche, als Gemeinschaft der Glaubenden, diesen Schatz heute verkünden? In den großen Stichworten der Evangelisierung, der Neu-Evangelisierung, der Mission. Mit einem Wort von Josef Ratzinger, Papst Benedikt XVI., zum Menschen, das meiner Ansicht nach einer Magna Charta der christlichen Anthropologie gleicht, möchte ich deshalb dieses Symposium beenden und in den betenden Abschluss des Angelus Domini hinüberführen, indem wir der Gottesmutter unser Tun anvertrauen und Kardinal Koch um seinen Segen bitten. Papst Benedikt sagt, der Mensch ist nicht Zufall des Universums, sondern Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder Einzelne ist gewollt, geliebt und notwendig. Darin gründet die unverlierbare Würde des Menschen. Drei Sätze, die in ihrer Tiefe nahezu unauslotbar sind und doch zugleich auf den Punkt gebracht, unsere Hoffnung im Blick auf den Menschen zum Ausdruck bringen. Emminenz, wir bitten um das Gebet und Ihren Segen.

Radio Horeb » Mediathek » Podcasts » Events vom 27.09.2025 – Laufzeit: 00:9:35 – Dateigröße: 4,39MB

Weitere Hinweise und Quellen

By Louis A. Venetz

Dipl. Ing. FH in Systemtechnik