Was ist katholisch?

Herder Verlag, 1. Auflage 2021.

Zehn Prinzipien des Katholischen

(Siehe Herder Verlag, S. 235-240, 1. Auflage 2021.)

  1. Der Katholik glaubt – im Unterschied zu bloßen Meinungen über den »unbekannten Gott« (Apg 17, 23) – »mit göttlichem und katholischem Glauben«, d. h. mit geoffenbartem und von der Kirche als Bekenntnis vorgelegtem Glauben, an den dreifaltigen GOTT.
    Gott, der zu Mose sprach: Ich bin der Ich bin (Ex 3, 14), offenbarte dem Volk Gottes und der Kirche Christi im Laufe der Welt- und Heilsgeschichte sein eigenes Wesen und Selbst-Sein in der Fleischwerdung (Inkarnation) seines WORTES und in der endzeitlichen Ausgießung seines HEILIGEN GEISTES als »die Gnade und die Wahrheit« (Joh 1, 17), damit alle Kinder Gottes werden, die an seinen Namen glauben (Joh 1, 12).
  2. Der Katholik ist überzeugt, dass jeder Mensch vermittels seiner natürlichen Vernunft, von der Kontingenz der Welt auf die Unbedingtheit des Daseins Gottes in voller Gewissheit schließen kann, der sich ihm zu erkennen gibt als Ursprung und Ziel seines Da-Seins und seiner Frage nach dem Sinn von Sein und seiner Suche nach der Wahrheit.
  3. Der Katholik glaubt, dass die übernatürliche Offenbarung Gottes in Jesus Christus – in Verbindung mit der natürlichen Gotteserkenntnis und den der Vernunft evidenten Seins- und Erkenntnisprinzipien – durch den Heiligen Geist präsent bleibt sowohl im diachronen als auch im synchronen Glaubensbewusstsein der katholischen Kirche und dem Glaubenssinn des ganzen Gottesvolkes. Denn Gott selbst spricht zu uns in Seinem Wort durch die Lehre der Apostel in der Heiligen Schrift. Und er vermittelt selbst Seine Wahrheit und Seine Gnade weiter in der lebendigen Tradition der Kirche (Predigt, Katechese, Liturgie, dem einmütigen Zeugnis der Kirchenväter und Kirchenlehrer). Und Gott selbst legt sein einmalig und für immer zu unserem Heil gesprochenen Wort, das in Jesus Christus Fleisch geworden ist, irreversibel aus in den letztverbindlichen Entscheidungen (den Artikeln des Credo, den dogmatischen Definitionen) des kirchlichen Lehramtes (des Gesamt-Episkopates mit dem Papst an der Spitze).
  4. Der Katholik steht aufgrund der Inkarnation in einer Ich-Du-Relation zu Gott seinem Vater (Gottebenbildlichkeit), zum Sohn Gottes als seinem Erlöser und Bruder (Gotteskindschaft) und zum Heiligen Geist als Freund (heiligmachende Gnade; Vergöttlichung). Gott hat seinen Namen geoffenbart als der Seiende und als die dreifaltige Liebe von Vater und Sohn im Heiligen Geist. Er hat uns beim Namen angerufen und uns den Namen eines Sohnes und einer Tochter Gottes gegeben. Wir sind vor Gott Person und nicht Exemplar einer Gattung oder Genosse in einem Kollektiv.
  5. Die personale Relation und Kommunikation vollzieht sich in den drei göttlichen Tugenden von Glaube (fides), Hoffnung (spes) und Liebe (caritas). Mit ihnen verbunden sind die vier durch menschliche Anstrengung erwerbbaren Kardinaltugenden der Klugheit (prudentia), der Gerechtigkeit (iustitia), der Tapferkeit (fortitudo) und des Maßes (temperantia). Die göttlichen Tugenden sind von Gott eingegossen in die Seele und werden zu einem Gott-menschlichen Synergie-Effekt, wenn die Gnade sich mit dem freien Willen zu einem öffentlichen Bekenntnisakt in und mit der ganzen Kirche verbindet.
    5.1 In dem Glauben (an-)erkennt der Katholik – theozentrisch – Gott als die ewige Wahrheit und nimmt sie frei-willentlich hinein in seinen geistigen Selbstvollzug.
    5.2 In der Hoffnung intendiert der Katholik – christozentrisch – Gott als Ziel seines Lebenswegs in der Nachfolge Christi bis zu Kreuz und Auferstehung.
    5.3 In der Liebe verinnerlicht der Katholik – pneumatologisch – sein bedingungsloses Gewollt-Sein vom dreifaltigen Gott und erfasst geistig und affektiv darin den wahren Grund seiner Existenz als ewige Vorherbestimmung zum unverlierbaren Heil.
  6. Der Katholik nimmt als Moment des Christus-Ereignisses auch die kirchliche und sakramentale Heilsvermittlung an. Denn diese folgt aus der Inkarnation und ist die Weiterführung der Sendung des Sohnes und die Vergegenwärtigung (geschichtliche-immanente Vermittlung) seiner Wahrheit und Gnade im Heiligen Geist, der »von oben her« transzendental das Heilswerk Christi vermittelt. Daraus ergeben sich die christliche Weltverantwortung und der Einsatz für den Weltfrieden, die soziale Gerechtigkeit, die Freiheit und Würde des Menschen gegen die Willkür der Mächtigen.
  7. Der Katholik glaubt, dass der individuelle Leib Jesu während seiner historischen Lebenszeit – nachdem er nach der Auferstehung sich zur Rechten Gottes im Himmel gesetzt hat –, nun auf Erden zeichenhaft-real repräsentiert wird durch seinen ekklesialen Leib und dass er insbesondere in seinem sakramentalen Leib »wahrhaft, wirklich und wesentlich« (DH 1651) gegenwärtig ist, weshalb die Eucharistie zum inneren Konstitutionsprinzip der Kirche wird und gleichzeitig die Kirche der äußere Grund und das sichtbare Subjekt der Feier der Sakramente ist. Wegen des Zusammenhangs der Leiblichkeit des Menschen, des Heils im Mensch gewordenen Gottessohn und der Verleiblichung der Gnade in den Sakramenten und der Hoffnung auf die Auferstehung des Fleisches lautet ein katholisches Axiom: Caro cardo salutis.
    Und da die Identität des Schöpfers der Welt und des Erlösers des Menschen jede dualistische Denkform im Gottesverständnis und im Menschen- und Weltbild (milder Platonismus, Gnostizismus, Manichäismus) wie auch monistische Weltanschauungen (Rationalismus, Idealismus, Materialismus, Empirismus, Positivismus) ausschließt, muss die katholische Denkform, die aus dem Sein der Welt und dem Wort der Offenbarung abzuleiten ist, so lauten: »Da nämlich die Gnade die Natur nicht beseitigt, sondern im Gegenteil vollendet, so gehört es sich, dass die natürliche Vernunft ganz im Dienst des Glaubens stehe, wie auch die natürlichen Neigungen des Willens der übernatürlichen Liebe gehorchen – Cum enim gratia non tollat naturam, sed perficiat, oportet quod naturalis ratio subserviat fidei, sicut et naturalis inclinatio voluntatis obsequitur caritati.«
  8. Der Katholik glaubt an die persönliche Rechenschaft, die jeder Mensch vor dem Richterstuhl Gottes einmal ablegen muss für seine Taten und Versäumnisse im irdischen Leben, weil es die Würde des Menschen ausmacht, Herr seiner geistigen Entscheidungen und sittlichen Handlungen zu sein und der folglich von seinem Schöpfer und Erlöser den Lohn für seine guten und schlechten Taten zu erwarten hat.
  9. Der Katholik bekennt sich zum Petrinischen Prinzip der Kirche. Darunter versteht man die in Simon Petrus zusammengefasste hierarchisch-sakramentale Verfassung der pilgernden Kirche (ecclesia peregrinans, militans). Wenn Christus die Dauer der Kirche bis ans Ende der Geschichte gewollt hat, dann hat er auch die Fortdauer der Vollmacht, die er Petrus für das Wirken der Kirche am Anfang gegeben hat, in seinen Nachfolgern auf seiner Cathedra in Rom gewollt.
    Die Beziehung zwischen der Kirche als (unsichtbarer, verborgener) Gnadengemeinschaft und als gesellschaftlich verfasster (sichtbare, manifeste) Bekenntnis- und Kultgemeinde kann nicht im platonischen Schema von Urbild und (schattenhaften) Abbild erfasst werden. Die Kirche ist vielmehr leibhaft-reale Präsenz der Gnade Christi in der Welt, die als ihr Zeichen uns effektiv die Lebensgemeinschaft mit Gott vermittelt. Darum gibt es kein Privatverhältnis zu Jesus, dem Haupt der Kirche, an seiner konkreten Präsenz in seinem kirchlichen und sakramentalen Leib vorbei.
  10. Der Katholik glaubt an Gott, hofft auf ihn und liebt ihn in der jungfräulichen und mütterlichen Geistesverfassung, in der Maria, »die Mutter des Herrn« (Lk 1, 43), ihren menschlichen Sohn Jesus, der in Ewigkeit der Sohn im dreifaltigen Gott ist, als den messianischen, ins Fleisch gekommenen Sohn Gottes (Röm 8, 3; Gal 4, 4; Phil 2, 7) durch das Wirken des Heiligen Geistes in ihrem Leib und Herzen empfangen und geboren hat (Lk 1, 31), die ihn aber auch bis zur Offenbarung seiner göttlichen Herrlichkeit in seinem Tod am Kreuz nicht verlassen hat (Joh 17, 1; 19, 26). Darum ist sie die Mutter des Glaubens und der ganzen Kirche, die in ihr das Urbild ihres jungfräulich-bräutlichen Verhältnisses zu Gott und ihres mütterlichen Verhältnisses zu uns (Lk 1, 38). Von ihrem Beispiel gestärkt verstehen wir das mystische Motiv der »Gottesgeburt in der Seele« gemäß dem Epigramm des Angelus Silesius (1624–167): »Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren und nicht in dir, du bliebest ewiglich verloren.«
    Mit dem Marianischen Prinzip ist nicht nur die Anerkenntnis der mariologischen Dogmen und die Verehrung Marias als Jungfrau und Gottesmutter gemeint (Lk 1, 48), sondern auch das grenzenlose Vertrauen des Glaubenden in Gott, der denen, die ihn lieben, alles zum Besten gereichen lässt, »die er im Voraus dazu bestimmt hat, an Wesen und Gestalt seines Sohne teilzuhaben, damit dieser der Erstgeborne unter vielen Brüdern sei« (Röm 8, 29). Deshalb beten Katholiken nach dem »Gebet des Herrn« das Ave Maria, das komponiert ist mit den Worten des Engels Gabriel an Maria und der Begrüßung durch Elisabeth, der Mutter Johannes des Täufers, als sie in ihr Haus des Zacharias eintrat

Gegrüßet seist du Maria,
voll der Gnade,
der Herr ist mit dir.
Du bist gebenedeit unter den Frauen,
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes,
Jesus.
Heilige Maria, Mutter Gottes,
bitte für uns Sünder
jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.

Weitere Hinweise und Quellen

By Louis A. Venetz

Dipl. Ing. FH in Systemtechnik

1 comment

Comments are closed.